Mehr als nur ein „kleiner Unterschied”: Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf Mukoviszidose?
Einfluss des Geschlechts auf den Krankheitsverlauf bei Mukoviszidose
Die Krankheit Mukoviszidose kann generell individuell unterschiedlich verlaufen, da es verschiedene Schweregrade gibt und die damit einhergehenden Beeinträchtigungen variieren. Es zeigt sich aber, dass Frauen tendenziell einen schwereren Verlauf als Männer haben. Studien legen nahe, dass Frauen mit CF häufiger unter Infektionen und Lungenexazerbationen leiden als Männer.[1] Unter Lungenexazerbationen sind schubweise Verschlechterungen des Gesundheitszustands zu verstehen, die beispielsweise mit Schwierigkeiten beim Atmen, Fieber und vermehrtem Husten einhergehen. Eine Ursache dafür könnten die hormonellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sein: Die als „Östrogene“ bekannten weiblichen Sexualhormone hemmen spezifische Funktionen des Immunsystems. Für CF-Betroffene macht sich das in einer Zunahme von bakteriellen Infektionen und Lungenexazerbationen beim zyklusbedingten Anstieg der Östrogene bemerkbar.[2,3]
Außerdem erhöht Östrogen die Aktivität der Flimmerhärchen[4] und die Schleimproduktion in der Lunge.[5,6] Ein Hinweis für den Einfluss der Hormone ist auch, dass sich die CF-Symptome im Laufe des Menstruationszyklus verändern. Es gibt aber auch umgekehrt Einflüsse der CF auf das Hormonsystem: So kann die Mukoviszidose zum Beispiel die Pubertät verzögern[7], die Regelmäßigkeit des Menstruationszyklus beeinflussen und sie scheint auch mit einem früheren Beginn der Wechseljahre verbunden zu sein.[6] Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass Anti-Baby-Pillen und Hormontherapien gegen Wechseljahresbeschwerden den Verlauf der CF positiv beeinflussen können.[8] Aber nicht nur die Sexualhormone scheinen einen Einfluss auf die CF zu haben, sondern möglicherweise auch der unterschiedliche Körperbau von Mann und Frau. So fällt Männern die bei CF erschwerte Lungenarbeit oft leichter, weil ihre Lunge vom größeren Zwerchfell, dem Verhältnis von Rippen zur Brustkorblänge und der kräftigeren Muskulatur profitiert. Auch die Verdauungsorgane sind in unterschiedlichem Maße betroffen. So tritt zum Beispiel ein CF-bedingter Diabetes bei Frauen häufiger auf.[9] Erschwerend könnte hinzukommen, dass Untergewicht bei Frauen in der Gesellschaft oft weniger problematisch angesehen wird – es ist jedoch ein Symptom der Erkrankung und daher ernst zu nehmen.[10] Einen geschlechtsbedingten Unterschied gibt es zudem bei der Lebenserwartung mit CF: Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigte eine um fast drei Jahre höhere mediane Lebenserwartung männlicher Betroffener.[9]
Auswirkungen der CF auf die Fruchtbarkeit
Männer und Frauen mit Kinderwunsch, die an CF leiden, stehen vor unterschiedlichen Herausforderungen: Bei 97 Prozent der betroffenen Männer fehlen von Geburt an beide Samenleiter. Das bedeutet, dass sie auf natürlichem Wege in aller Regel keine Kinder zeugen können. Einen Ausweg bietet in solchen Fällen eine künstliche Befruchtung, bei der Samenzellen direkt aus den Hoden entnommen und im Labor zur Befruchtung der Eizellen verwendet werden.
Anders als bei Männern ist der Genitaltrakt von Frauen mit Mukoviszidose anatomisch nicht grundsätzlich verändert. Allerdings ist der Schleim in den Eileitern und der Gebärmutter zähflüssiger, so dass im Gebärmutterhals ein Schleimpfropf entstehen kann, der das Durchkommen von Spermien verhindert. Außerdem beeinträchtigen chronische Entzündungen der Schleimhaut, ein unregelmäßiger, verzögerter oder fehlender Eisprung sowie krankheitsbedingte Mangelernährung die Fruchtbarkeit, so dass Patientinnen mit zystischer Fibrose im Durchschnitt eine um 35 Prozent niedrigere Fruchtbarkeit aufweisen.
Unmöglich ist die Familienplanung mit Mukoviszidose aber nicht: Das zeigt auch der Erfahrungsbericht von Sandra, die inzwischen Mutter einer kleinen Tochter ist.
Beide Geschlechter profitieren von neuen Behandlungsmöglichkeiten
Doch trotz dieser Unterschiede im Krankheitsverlauf bei Männern und Frauen: Die Fortschritte in der CF-Forschung und -Versorgung, insbesondere im Bereich von Medikamenten zur Behandlung der Erkrankung, haben die Lebensqualität von Menschen mit zystischer Fibrose in den vergangenen Jahren deutlich verbessert.
Auch wenn das mitunter ärztlicher Unterstützung bedarf, können Frauen und Männer mit CF mittlerweile sogar über die Gründung einer Familie mit eigenen Kindern nachdenken – noch vor 20 Jahren war dies unvorstellbar. Zudem wird weiterhin am Gender-Gap bei Mukoviszidose geforscht. Inwieweit aktuelle und künftige Therapiemöglichkeiten diese Lücke verringern und somit beiden Geschlechtern eine neue Lebensperspektive ermöglichen können, werden die nächsten Jahre und Jahrzehnte zeigen.[12] Das relativ junge Fachgebiet der Gendermedizin rückt immer mehr in den Fokus von Wissenschaft und Forschung – und damit auch neue Erkenntnisse zum unterschiedlichen Krankheitsverlauf bei Frauen und Männern mit CF und entsprechend neuen Behandlungsmöglichkeiten.[13,14]
DE-02-2300240