Wissenschaftler im Labor an Petri-Schalen

So entstehen Medikamente gegen seltene Erkrankungen

Seltene Erkrankungen sind noch nicht lange ein wichtiger Fokus der Medikamentenentwicklung. In der Vergangenheit wurden sie oft schmerzhaft vernachlässigt. Deshalb tragen sie auch den Beinamen „verwaiste Krankheiten“ (engl.: Orphan Diseases) – und Medikamente gegen sie nennen sich Orphan Drugs. Eine der häufigsten dieser „verwaisten Krankheiten“ ist die Mukoviszidose. In Deutschland sind schätzungsweise 6.776 Menschen im Register des Mukoviszidose e.V. erfasst. [1]

Schätzungen zufolge gibt es etwa 8.000 seltene Erkrankungen [2] – aber nur rund 1,5 Prozent von ihnen sind derzeit medikamentös behandelbar. Das zeigt, wie wichtig die Erforschung und Entwicklung neuer Orphan Drugs ist – auch für die rund vier Millionen Menschen, die in Deutschland mit einer seltenen Erkrankung leben. [2]

Der Orphan-Drug-Status

Als Orphan Drugs gelten nicht alle Präparate, die für die Behandlung einer seltenen Erkrankung genutzt werden. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) vergibt diesen Status nur, wenn bestimmte Kriterien erfüllt werden: [3]

1. Die Erkrankung darf nicht mehr als fünf von 10.000 Europäerinnen und Europäern betreffen.

2. Die Erkrankung muss schwer, also lebensbedrohlich sein, oder zu chronischer Invalidität bzw. Behinderung führen.

3. Das Medikament muss einen Zusatznutzen haben. Dieses Kriterium ist nur erfüllt, wenn es bislang keine zufriedenstellende Behandlungsmöglichkeit gab oder das neue Medikament höchstwahrscheinlich Vorteile gegenüber der bisherigen medikamentösen Behandlung mit sich bringt.

Die Entscheidung, welches Medikament einen Orphan-Drug-Status erhält, fällt eine Unterabteilung der EMA, das sogenannte “Committee for Orphan Medicinal Products“ (COMP). Die Hersteller können den Status nur beantragen.

Forschung und Entwicklung

Durchschnittlich dauert es zehn bis 15 Jahre, um vom Forschungsstadium zu einer zugelassenen Therapie zu gelangen – das gilt auch für Arzneimittel gegen Erkrankungen wie Diabetes, die viele Menschen betreffen. Allerdings erhält nur ein sehr geringer Teil aller potentiellen Therapien eine Zulassung.

Die wirtschaftliche Seite

Die Entwicklung von Orphan Drugs ist wichtig, allerdings auch hochriskant – wegen ihrer langen Entwicklungsdauer und wegen der ständigen Möglichkeit, dass sich eine Substanz während des Entwicklungsprozesses doch als ungeeignet herausstellt. Für Unternehmen, die in die Orphan-Drug-Forschung investieren wollen, ist das ein langfristiges, finanzielles Risiko. Nicht alle Unternehmen können sich das dauerhaft leisten. 

Und dennoch: Bis Februar 2020 wurden bereits Orphan Drugs gegen 143 Krankheiten zugelassen, vor allem in den Bereichen Krebs, Stoffwechselerkrankungen und Neurologie. Insgesamt war etwa ein Drittel der in den fünf Jahren zuvor neu zugelassenen Medikamente mit dem Orphan Drug-Status versehen. [4] Den Weg für diesen Erfolg hat die EU-Verordnung für Orphan Drugs von 2000 geebnet. [3]

Auch die Forschungsbemühungen für Kinder, die an seltenen Erkrankungen leiden, sind seither gestiegen. Schon in den ersten fünf Jahren seit dem Inkrafttreten der EU-Verordnung waren 54 % der potenziellen Orphan Drugs für Kinder ausgewiesen. [5]

Labormaterial

Seit der Entdeckung des mutierten CFTR-Gens im Jahr 1989 arbeiten Forscherinnen und Forscher daran, die Erkrankung ursächlich behandeln zu können – also nicht nur die Symptome, sondern die durch die Genmutation ausgelösten Proteindefekte. Das ist seit 2012 möglich, als nach mehr als zwei Jahrzehnten intensiver Forschung der erste CFTR-Modulator in Europa zugelassen wurde. Er kann die Funktion von einigen defekten CFTR-Proteinen verbessern. [6]

Trotz dieses großen Erfolgs geht die CF-Forschung weiter, denn er kann nicht alle 400 CF-auslösenden CFTR-Mutationen behandeln.

Quellennachweise

1. Mukoviszidose e. V.: Deutsches Mukoviszidose-Register. Berichtsband 2021. Online abrufbar unter: https://www.muko.info/fileadmin/user_upload/was_wir_tun/register/berichtsbaende/berichtsband_2021.pdf – zuletzt abgerufen am 23.05.2023

2. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. Fünf Fakten über Arzneimittel für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs). Online verfügbar unter: https://www.bpi.de/de/nachrichten/detail/fuenf-fakten-ueber-arzneimittel-fuer-seltene-erkrankungen-orphan-drugs – zuletzt abgerufen am 23.05.23.2022

3. Die forschenden Pharma-Unternehmen. Die Orphan Drug-Verordnung ist ein Erfolg. Online verfügbar unter: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/seltene-erkrankungen/die-orphan-drug-verordnung-ist-ein-erfolg – zuletzt aufgerufen am 23.05.2023

4. Die forschenden Pharma-Unternehmen. Seltene Erkrankungen in Zahlen. Online verfügbar unter: https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/seltene-erkrankungen/seltene-erkrankungen-in-zahlen – zuletzt aufgerufen am 23.05.2023

5. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e. V. BPI-Informationsbroschüre Orphan Drugs. Arzneimittel für seltene Leiden. https://www.bpi.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Publikationen/Positionen/BPI-Informationsbroschure-OrphanDrugs-Arneimittel-fur-seltene-Leiden.pdf – zuletzt aufgerufen am 23.05.2023

6. Cystic Fibrosis Foundation. Our History. Inline verfügbar unter: https://www.cff.org/about-us/our-history – zuletzt abgerufen am 23.05.2023