
Ein langer Prozess: So läuft die Zulassung neuer Medikamente ab
2021 wurden in Deutschland 46 neue Medikamente auf den Markt gebracht. Bei deren Entwicklung brauchen die beteiligten Wissenschaftler vor allem eines: viel Geduld. Denn von der Forschungsidee bis zur Zulassung eines neuen Arzneimittels vergehen im Schnitt 13,5 Jahre. Hinter jedem Medikament steckt ein langwieriger Prozess, der sich zudem von Land zu Land unterscheidet. Wir fassen für euch zusammen, wie die Zulassung in der EU abläuft.
Allein 11 der insgesamt 46 im Jahr 2021 zugelassenen Medikamente helfen Patienten mit seltenen Erkrankungen und fallen unter den sogenannten Orphan-Drug-Status in der EU.[1]
Wenn ihr mehr zur Entwicklung von Orphan Drugs erfahren möchtet, schaut doch einmal in unseren Artikel zum Thema. Hier haben wir alles Wichtige für euch zusammengefasst.
Vor dem Zulassungsantrag
Phase 1: Erprobung mit wenigen gesunden Menschen
In der ersten Phase wird der Wirkstoff-Kandidat an gesunden Erwachsenen getestet. So finden Forscher heraus, was der Körper mit der Substanz macht (Pharmakokinetik) und ob sie gut verträglich ist. Darauf basierend wird eine passende Darreichungsform entwickelt, zum Beispiel eine Tablette oder eine Lösung zum Spritzen. Ob ein Medikament auch an Kindern erprobt werden muss, wird von der Zulassungsbehörde festgelegt. In den meisten Fällen beginnen Studien mit Kindern erst nach den Studien mit Erwachsenen, sehr selten aber auch fast zeitgleich.[2]
Phase 2: Erprobung mit wenigen kranken Menschen
In klinischen Studien der Phase 2 wird die Wirkung des Medikaments über einen kurzen Zeitraum an erkrankten Patienten untersucht. Diese Phase soll zum Beispiel Aufschluss über die optimale Dosierung des Medikaments geben.[2]
Phase 3: Erprobung mit vielen kranken Menschen
Nur wenn das Medikament in Phase 2 überzeugt hat, wird es in der dritten Phase an vielen Erkrankten über einen langen Zeitraum überprüft. Sofern keine zwingenden ethischen Gründe dagegensprechen, erhält ein per Zufall ausgewählter Teil der Probanden statt des Wirkstoffes ein sogenanntes Placebo – ein Scheinmedikament. Weder die Patienten, noch die behandelnden Ärzte wissen, ob das verabreichte Medikament den Wirkstoff enthält oder nicht. Man spricht deshalb von einer sogenannten „randomisierten Doppel-Blind-Studie“. So lässt sich ein etwaiger Unterschied zwischen behandelten und nicht behandelten Patienten herausfinden.
Durch die deutlich größere Gruppe in die Studie einbezogener Patienten und den längeren Studienzeitraum wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, auch sehr selten auftretende Neben- oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu entdecken.[2]
Der Zulassungsantrag: Prozess in der EU
Während das Zulassungsverfahren in Europa mit der EMA zentralisiert erfolgen kann, haben viele andere Länder außerhalb der EU eigene Zulassungseinrichtungen. Das gilt zum Beispiel für die USA und Japan. Dies führt mitunter dazu, dass manche Medikamente, die in anderen Ländern bereits zugelassen sind, in Europa noch keine Zulassung erhalten haben – und anders herum.[2] Oftmals werden die Prozesse und Entscheidungen der EMA mit der US-amerikanischen Food and Drug Administration, kurz FDA, verglichen. Diese ist in den USA für die Zulassung neuer Arzneimittel zuständig.
In fast 90 Prozent der Fälle entscheiden EMA und FDA bei der Zulassung neuer Arzneimittel gleich. Das liegt unter anderem daran, dass beide Behörden seit Anfang der 2000er Jahre eng zusammenarbeiten, zum Beispiel in gemeinsamen Arbeitsgruppen und Foren.[8] Nicht selten erfolgt die Zulassung durch die FDA dabei etwas früher: Denn oftmals wird der Antrag bei der EMA nicht zeitgleich gestellt.
Hinzu kommt, dass Zulassungsverfahren unter besonderen Bedingungen beschleunigt werden können – davon macht die FDA häufiger Gebrauch, während die EMA andere Prüfungsverfahren hat und zurückhaltender ist. Andererseits kann die FDA Zulassungen auch schneller wieder zurückrufen.[9] Wenn EMA und FDA doch mal gegenteilige Entscheidungen treffen, kann dies unterschiedliche Gründe haben. Meistens interpretieren die Behörden die vorgelegten Studiendaten anders oder stellen andere Anforderungen an die Ausgestaltung der Studien. In der Regel wird das Medikament nach einer erneuten Begutachtung nach einiger Zeit aber auch in dem jeweils anderen Markt zugelassen.[9]

So lange dauern die Phasen des Zulassungsprozesses neuer Medikamente im Durchschnitt in Jahren.
Der Zulassungsprozess im Überblick
- Forschungsperiode: Wissenschaftler suchen gezielt nach einem Wirkstoff zur Behandlung oder Heilung einer Krankheit. Die Phase geht mit vielen Änderungen an den einzelnen möglichen Substanzen einher.
- Vorklinische Phase: Die möglichen Wirkstoffkandidaten werden auf ihre Wirkung und Verträglichkeit geprüft.
- Klinische Phase I: Der Wirkstoff wird erstmals an wenigen gesunden Menschen getestet. Die Forscher prüfen hier, was die Substanz mit dem Körper macht, beispielsweise ob und welche Nebenwirkungen auftreten.
- Klinische Phase II: Es finden Untersuchungen der Wirkung und Verträglichkeit des Medikaments mit wenigen kranken Menschen über einen kurzen Zeitraum statt. Hier wird zudem getestet, wie hoch die optimale Dosierung des Medikaments ist.
- Klinische Phase III: Es folgt die Erprobung des Medikaments an vielen kranken Menschen für einen längeren Zeitraum. In dieser Phase können auch seltenere Nebenwirkungen erkannt werden.
- Der Zulassungsantrag: Erst wenn alle Studien und Tests erfolgreich waren, kann die Zulassung beantragt werden. Der Prozess für den Zulassungsantrag variiert je nach Land und wird in Deutschland beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) gestellt. Wenn es um die Zulassung in der gesamten EU geht, ist hingegen die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zuständig.
- Prüfung der Unterlagen: In der EU prüft der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA die Antragsunterlagen, welche vom Pharmaunternehmen eingereicht wurden. Geprüft werden die Qualität, Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Umweltverträglichkeit des Medikaments.
- Gutachten: Wenn alle Unterlagen geprüft und alle Fragen geklärt wurden, erstellt das CHMP ein Gutachten mit einer positiven oder negativen Empfehlung zur Zulassung. Dies ist die Basis für die eigentliche Zulassung durch die Europäische Kommission.